Deutsch ist eine schöne und relativ präzise Sprache. Und dennoch: manche Dinge lassen sich einfach nicht so treffend ausdrücken, wie es vielleicht eine andere Sprache hinbekommt. Damit sind wir direkt beim Thema des heutigen Beitrags! Es geht um „mehrfarbiges Stricken“. Sagt euch nichts? Kann gut sein, aber was ihr bestimmt schon mal gehört habt, ist die englische Bezeichnung: Colorwork.
Moment, fehlt da nicht ein u? Jein – es gibt beide Schreibweisen. Im britischen Englisch heißt es colour, im amerikanischen color. Ich hab den Google-Suchtest gemacht und die Schreibung ohne u ergibt viermal so viele Treffer. We have a winner.
So, nachdem wir die sprachlichen Hürden ausgeräumt haben, können wir zu den inhaltlichen Fallstricken kommen. Davon gibt es nämlich jede Menge.
Colorwork oder Fair Isle?

Wenn ihr auf Ravelry, Strickblogs oder Instagram unterwegs seid, ist euch bestimmt schon mal der Begriff Fair Isle begegnet. Er wird oft synonym zu Colorwork verwendet. Das ist aber eigentlich falsch. Es stimmt zwar, dass in beiden Fällen mehr als eine Farbe zum Einsatz kommt. Insofern ist ein Strickstück in Fair Isle-Technik immer eine mehrfarbige Arbeit, sprich: das ist auf jeden Fall Colorwork. Aber nicht jedes Strickstück, das das Label Colorwork trägt, ist gleichzeitig auch Fair Isle.

Colorwork ist also der Überbegriff, unter dem sich die verschiedensten Techniken summieren lassen, und die wahrscheinlich bekannteste ist eben: Fair Isle. Sie kommt aus einer ganz bestimmten Region, nämlich von der gleichnamigen Insel im hohen Norden Schottlands. Im Original wird ausschließlich Wolle von Shetlandschafen verwendet, die fein und gekräuselt ist und so das ideale Maß an Elastizität und Robustheit mitbringt. Außerdem gibt es Shetlandschafwolle in unglaublichen 11 natürlichen Farben, so dass auch schon zu Zeiten, in denen man nur ungefärbte Wolle zur Verfügung hatte, kunstvolles Musterstricken möglich war. Dabei blieb es aber natürlich nicht: Irgendwann fing man an mit dem Färben und zwar mit Färberröte und Indigo, weshalb Rot- und Blau-Varianten auch die klassischen Farben in der Fair Isle-Tradition sind.
Warme Pullover aus dem stürmischen Norden

Die Grundstruktur von Fair-Isle-Mustern basiert immer auf horizontalen Linien. Durch Rauten und andere Elemente wird diese Ausrichtung optisch aber so weit aufgebrochen, dass dennoch kein wirklicher Streifenlook entsteht. Gestrickt wird Fair Isle immer in Runden. Pro Runde werden immer nur zwei Farben verwendet – egal wie viele Farben insgesamt vorkommen. Damit fällt Fair Isle übrigens auch unter den Begriff „Stranded“ Colorwork, der für alles verwendet wird, wo mehrere Farben (mindestens aber zwei) pro Runde auftauchen.
Dass glatt rechts in Runden gestrickt wird, bedeutet aber auch, dass zum Beispiel für Cardigans (und teilweise auch für Armöffnungen in Pullovern) mit sogenannten Steeks gearbeitet wird. Dabei wird (nach entsprechender Vorbereitung) das Strickstück aufgeschnitten und anschließend versäubert bzw. vernäht. Mit der Schere in den selbstbestrickten Pulli schneiden? Wenn ihr mich fragt: eine gruselige Vorstellung! Aber Fair Isle Stricker*innen schwören darauf seit Jahrhunderten – ganz falsch kann es also nicht sein.
Colorwork aus Skandinavien: Tradition und Moderne

So weit, so very british. Doch natürlich gibt es mehrfarbiges Stricken auch in vielen anderen Ländern. Gerade Skifahrer*innen kennen die typischen Pullover mit dem Norweger-Stern. In Norwegen gibt es zwei regionale Traditionen: Setesdal und Selbu. Bekannt sind hier vor allem die kunstvollen Handschuh-Fäustlinge, die auch in diesem Winter wieder zu Hauf durch die Strickcommunity flatterten. Die norwegische Strickdesigner Arne&Carlos sprechen in vielen ihrer Videopodcasts über diese traditionellen Stricktechniken. (Hier ein spannendes und umfangreiches Video, bei dem sie eine Meisterin in Sachen Setesdal Knitting besuchen.)
Deutlich neueren Datums ist das Bohus Stricken. In den 1930er Jahren herrschte in Schweden hohe Arbeitslosigkeit – gerade auch unter Frauen. Um für sie Verdienstmöglichkeiten zu schaffen, wurde in Bohuslän eine Art Kooperative gegründet. Die treibende Kraft dahinter war die Frau des Gouverneurs von Göteborg, Emma Jacobsson. Sie ermöglichte es den Frauen in Heimarbeit zu stricken und die Kleidungsstücke gewinnbringend zu verkaufen. Emma entwarf zunächst zahlreiche Muster selbst und engagierte später eigens Designer*innen für immer ausgefallenere Versionen der farbenfrohen Rundpassenpullover.
Colorwork zwischen Geysiren und Vulkanen
Ich war selbst leider noch nicht dort, aber in Sachen raues Klima und vom Meer umspülte Klippen, soll Island nochmal eine ganz andere (und wunderschöne) Nummer sein. Kein Wunder also, dass auch hier Menschen, um sich vor den harschen Witterungsbedingungen zu schützen, seit Jahrhunderten auf warme Wollpullover setzen.
Lopapeysa nennt sich die Strick-Tradition auf der Atlantikinsel. Verwendet wird die heimische Islandwolle, die unter dem Namen Lopi-Wolle inzwischen auch hierzulande auf immer mehr Stricknadeln aufzutauchen scheint. Thema Flauschfaktor: Ein kuscheliges Pullöverchen aus Lopi? Nein, da muss ich alle Merino-Fans enttäuschen. Islandwolle ist berühmt berüchtigt für ihre raue Struktur. Direkt auf der Haut getragen werden solche Pullover daher nicht. Sie sind aber so warm und durch das Material, dass sich schon beim Verarbeiten „verhakt“, so robust, dass sie (bei nicht komplett eisigen Temperaturen) locker eine Jacke ersetzen können.

Stück für Stück: Mosaike aus Wolle

Neben diesen regionalen Traditionen gibt es aber auch noch eine ganze Reihe an anderen, spannenden Colorwork-Techniken. Das Mosaik-Stricken zum Beispiel. Dabei wird in jeder Reihe immer nur mit einer Farbe gestrickt. Maschen, die in der Kontrastfarbe bleiben sollen, werden nur abgehoben. Gerade wer beim Stranded Colorwork Probleme mit der Fadenspannung hat, hat hier eine praktische Alternative. Dadurch dass immer nur mit einer Farbe gearbeitet wird, ergeben sich keine Spannfäden bzw. Flotten. Optisch ist das Ergebnis aber zumindest für den Laien von einem Colorwork-Projekt kaum zu unterscheiden.
Wer eher großflächige Motive auf seinem Strickstück gestalten will, für den kommt die Intarsientechnik in Frage. Dabei wird ebenfalls nur mit einer Farbe gestrickt und der Faden in der Kontrastfarbe nicht mitgeführt. Dadurch bleibt das Ergebnis auch schön „dünn“ und das Kleidungsstück genauso luftig, als wenn es grundsätzlich nur mit einer Farbe gestrickt worden wäre. Gelegentlich findet sich auch der Ausdruck Gobelin-Stricken für Intarsien-Arbeiten.

Zu guter Letzt erwähne ich hier noch einen „Oldie“: Den Begriff Jacquard-Stricken kenne ich aus den schwarzweiß-Handarbeitsbüchern meiner Mutter. Auch die langen „Pullovernadeln“, mit denen vor dem Siegeszug der Rundstricknadel gearbeitet wurde, werden oft als „Jaquardnadeln“ bezeichnet.
Ein gewisser Joseph-Marie Jacquard erfand zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine neue Art des Webstuhls. Das Gerät war in der Lage auch komplizierte Muster auszuführen, die zuvor auf Lochkarten übertragen wurden. Eine frühe Form der Programmierung sozusagen. Im Pixelstil ließen sich damit beliebige Muster und Farbkombinationen zusammensetzen. Als Jacquard-Muster könnte man also prinzipiell jede Art von mehrfarbigem Stricken bezeichnen – allerdings scheint der Begriff inzwischen ziemlich out zu sein. So ist das mit der Sprache eben: sie verändert sich ständig.
Und wie sieht’s bei euch aus? Seid ihr routinierte Colorwork-Stricker*innen? Auf meiner Liste mit Strickvorsätzen für 2023 steht Colorwork ganz oben. Ich hab es schon oft versucht, produziere aber immer noch brettharte Spannfäden, so dass ich mit absurd großen Nadelstärken an Colourwork-Socken ran muss, wenn ich selbst meinen kleinen Schuhgröße-37-Fuß irgendwie durch den Schaft gequetscht kriegen will. Aber angeblich macht ja Übung die Meisterin und ich bin wild entschlossen.
In diesem Sinne wünsche ich euch einen guten Start in ein hoffentlich gesundes und farbenfrohes neues Strickjahr.
Wollige Grüße,
Eure Judith
PS: Und hier schalte ich (Steffi) mich nochmal ein: Wenn dir dieser Beitrag gefallen hat und du von Judith richtig viel lernen konntest, dann würden wir uns sehr freuen, wenn du die Arbeit an diesem Blog ein wenig unterstützen magst. Eine kleine Spende in unsere Kaffeekasse kannst du ganz einfach hier hinterlegen. Oder teile den Blogbeitrag ganz einfach und kostenlos auf Social Media mit deinen Freunden. Wir bedanken uns schon jetzt recht herzlich! :-*
Quellen:
- Mary Jane Mucklestone: 200 Fair Isle-Muster. Ein Strick-Handbuch, Toppverlag 2018.
- https://kelbournewoolens.com/blog/2017/06/stranded-colorwork-vs-fair-isle-knitting/
- https://kunschtwerk.de/fair-isle-muster-entwerfen-und-stricken/
- https://www.hessnatur.com/magazin/textillexikon/shetlandwolle/
- https://www.bohuslansmuseum.se/en/collections-and-history/bohus-knitting-1939-1969/
- https://www.wollplatz.de/blog/2041/muster-des-monats-mosaikstricken.html
- https://hobbii.de/blog/laer-at-strikke-gobelinstrik-intarsia-med-video?utm_medium=social&utm_source=facebook.com&utm_campaign=post&utm_content=content-fb&utm_term=some
Bilder:
- Rallargenser: © Trine Lise Høyseth (Ravelry-Link)
- https://pixabay.com/images/id-4432328/ gemeinfrei
- Da Crofters Kep, Wilma Malcolmson, © Shetland Wool Week (Ravelry-Link)
- Selbu Mittens: © Skeindeer Knits (Ravelry-Link)
- Vulkan auf Island, gemeinfrei
- Judiths Zimtstern-Tuch nach einer Anleitung von Melanie Berg
- Jacquard-Stoffe, gemeinfrei
Danke für dem tollen Beitrag. Ich möchte noch etwas ergänzen: Eine absolute Besonderheit im Colour Work ist der Korsnäs Sweater, benannt nach dem finnischen Ort Korsnäs in Österbotten direkt an der Westküste Finnlands. Dort stricken mehrere Frauen gleichzeitig an z.Bsp. einem Pullover, absolut fazinierend anzusehen und etwas ganz Besonderes ! Hier mal ein Link dazu:
https://korsnas.hembygd.fi/in_english/the_korsnas_sweater/
LikeGefällt 1 Person
Huhu Conni, oh danke für den Hinweis. Das schauen wir uns auf jeden Fall an. Das klingt sehr sehr spannend. 🙂
LikeLike