Fiber Fact Friday Nr. 31: Kunstvolle Strickerinnen

Ab wann ist etwas eine Tradition? Ich gebe zu – zweimal zählt wahrscheinlich noch nicht, aber hey… in Steffis Blog ist erlaubt, was gefällt, und deshalb haben wir beschlossen, dass der Fiber Fact Friday im Dezember immer ein bisschen aus der Reihe tanzen darf. Letztes Jahr ging es um Stricken im Märchen und dieses Jahr widmen wir uns dem Stricken in der Kunst.

Wir beginnen gleich mal mit einer kleinen Themaverfehlung: Die drei Damen hier stricken nicht, aber sie stellen so einiges mit dem Faden an, der sich durchs gesamte Bild zieht (wenn man gaaaanz genau hinschaut). Der flämische Maler Peter Paul Rubens (1577-1640) zeigt hier eine mythologische Szene, wie sie damals sehr beliebt war: Zu sehen sind (neben dem Göttervater Jupiter und seiner Frau Juno am oberen Rand) die drei Schicksalsgöttinnen.

Bei den Griechen hießen sie Moiren, bei den Römern Parzen und in der skandinavischen Sagenwelt Nornen. Egal welcher Herkunft haben sie alle in etwa die gleiche Aufgabe: eine der Schwestern spinnt den Lebensfaden, eine andere bemisst ihn und die letzte schneidet ihn ab. In der antiken Mythologie ging man davon aus, dass das Leben eines jeden Menschen von den Göttern vorherbestimmt sei. Das wird durch den „Lebensfaden“ versinnbildlicht. Warum sie dabei nackig sind? Damals war das mit den Heizkosten offensichtlich noch kein Thema…

Wir bleiben noch kurz im Bereich der Mythen und Sagen und ja, schon wieder nicht bei einer Strickerin, sondern bei einer Frau am Webstuhl. Da sie aber eine meiner Lieblingsfiguren der griechischen Antike ist, darf sie hier dennoch für einen kurzen Gastauftritt vorbeischauen. Die Rede ist von Penelope.

Sie war die Ehefrau des Inselherrschers Odysseus – dem Typen, der kein Navi besaß und der deshalb (und weil er sich mit den Göttern angelegt hatte, was ziemlich ungünstig war) auf Irrfahrt ging. Nach dem Weg zu fragen fällt Männern ja angeblich besonders schwer und deswegen war er so lange unterwegs, dass diese Art des Reisens gleich nach ihm benannt wurde. Während der Gatte also auf seiner persönlichen Odyssee durch viele Länder, aber eben nicht nach Hause auf die Insel Ithaka kam, musste seine Frau Penelope für ihn solange den Laden am Laufen halten. Das ging eine ganze Weile gut, bis die Bevölkerung des kleinen Königreichs nicht mehr glaubte, dass Odysseus noch am Leben sei und wieder auf seinen Thron zurückkehren würde. Penelope sollte also einen neuen Mann heiraten, denn außer bei den Amazonen war’s mit weiblicher Regentschaft in dieser Epoche noch nicht so weit her.

„Nur noch eine Reihe…“ – den Satz haben wir abends wahrscheinlich alle schon mal gesagt und dann viel zu lange gestrickt. Penelope versuchte sich die gleiche Argumentation zu Nutze zu machen: Sie webte einen Teppich und versprach gleich nach der Fertigstellung einen der zahlreichen Bewerber zu ehelichen. Sie arbeitete also tagein taugaus – und ribbelte nachts alles wieder. Ihr Plan ging auf: Sie zog das Spielchen so lange durch, bis Odysseus schließlich doch noch nach Hause fand. In der Malerei gibt es zahlreiche Darstellung, die sie bei ihrer Handarbeits-Finte zeigen – meistens belagert von potentiellen, neuen Ehepartnern.

Schon wieder keine Strickerin? Doch. Die abgebildete Dame hier ist Frida Kahlo, eine der berühmtesten Malerinnen des 20. Jahrhunderts. Da ihre Kunstwerke noch keine 100 Jahre alt sind, sind die meisten ihrer Gemälde noch nicht gemeinfrei und deshalb können wir euch hier zwar ein Foto von ihr selbst, aber nicht direkt ihr Gemälde zeigen.
Es geht um das Porträt einer echten Granddame, nämlich von Doña Rosita Morillo. (Wenn ihr HIER klickt, dann könnt ihr euch das Bild ansehen.) Sie sitzt vor einem kleinen Urwald – ein typischer Hintergrund für Kahlos Bilder, die gerne die Kakteen und andere Pflanzen ihrer Heimat Mexiko als Elemente verwendete. Frau Morillo strickt mit klassischen Jacquardnadeln an einem Schal, Pullover oder vielleicht an einer Decke, wie sie sie auch über den Schultern trägt. Strickt jemand von euch noch mit diesen typischen langen Nadeln, oder seid ihr alle Rundnadelstricker*innen? Erzählt es uns gern in den Kommentaren.

Nicht auch nur in Ansätzen so bekannt wie die große Frida Kahlo ist der Schweizer Albert Anker. Er war ein sogenannter Genremaler, also jemand, der das Leben der Landbevölkerung und insbesondere Alltagsszenen darstellt. Viele seiner Gemälde sind für uns als moderne Betrachter*innen vielleicht etwas kitschig – aber das ist Instagram heute ja gelegentlich auch und so präsentierte sich die Knitting Community des 19. Jahrhunderts eben gern.

Zum Abschluss unserer kleinen Kunsttour machen wir noch einen Abstecher nach England und in die „Plastik“, also die Kunst von Skulpturen und Statuen. Im Fischerstädtchen Bridlington in Yorkshire sitzt seit 2015 nämlich diese hübsche Dame aus Bronze am Ufer. Stricken in bester Lage sozusagen. Ihr Name: Gansey Girl (vom Bildhauer Steve Carvill). Gansey – das ist den Pullover-Stricker*innen unter euch natürlich ein Begriff: Ganseys sind die typischen Seemannspullover dieser Gegend, die – natürlich handgestrickt aus robuster Wolle – die Fischer bei der Arbeit auf rauer See möglichst warm und trocken halten sollen. Die traditionelle Farbe für die Cable-Sweater ist dunkelblau und die Muster wurden oft von einer Generation zur nächsten weitergegeben. Heute gibt es viele Strickanleitungen, die sich an diesem Stil orientieren, mit Farben und Techniken aber freier umgehen.

Und damit sind wir schon am Ende dieses Beitrags und des Fiber Fact Friday-Jahres 2022. Mir hat es jede Menge Spaß gemacht und euch hoffentlich auch. Ich wünsche euch einen erholsamen Jahresausklang. Bis Januar,

Eure Judith

PS: Wer genauso kunstbegeistert ist wie ich und von handarbeitenden Frauen in der Malerei nicht genug bekommen kann, für den hier noch ein Buchtipp: Frauen, die den Faden in der Hand halten von Thomas Blisniewski ist ein sehr umfangreich bebildertes und kurzweiliges Buch, in dem sich einige der hier vorgestellten, aber auch noch viele andere gemalte Strickerinnen tummeln.

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Bildquellen:

  • Peter Paul Rubens, Public domain, via Wikimedia Commons
  • John William Waterhouse, Public domain, via Wikimedia Commons
  • Old master, CC BY-SA 3.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0, via Wikimedia Commons
  • Guillermo Kahlo, Public domain, via Wikimedia Commons
  • Albert Anker, Public domain, via Wikimedia Commons
  • Gansey Girl in Yorkshire – auf vielen Pinterest-Boards zu finden und auch hier.

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