Es geht mit großen Schritten in Richtung Weihnachten. Die Tage werden kürzer, es gibt (hoffentlich) wieder mehr gemütliche Strickzeit auf dem Sofa und vielen kommen Kindheitserinnerungen in den Sinn. Zurück in die Zeit, in der man noch an Wunder und mystische Wesen in verschneiten Wäldern glauben konnte. Neulich habe ich mich mal ganz winterlich in den Himalaya geträumt. Schneebedeckte Berggipfel, ein eisig blauer Himmel und in der Ferne sieht man ihn über den Gletscher stapfen, den Yeti. Glaubt ihr nicht? Dann seid ihr offenbar noch nicht in kindlicher Adventslaune oder zu schlau für diesen Ablenkungsversuch. Na gut, kein Yeti. Im Himalaya bleiben wir aber mit einem anderen wolligen Gesellen: der Kaschmirziege.
Wolle aus luftiger Höhe – Kaschmirziegen im Hochgebirge
Wir haben euch beim Fiber Fact Friday bereits einige Edelfasern vorgestellt, wie etwa Yak-Wolle oder Garne aus Mohair. Hier kann man definitiv schon von Luxusprodukten sprechen. Die Königin der Edelfasern ist aber zweifelsohne die Kaschmirwolle – und das hat seinen Preis. Kleidungsstücke aus diesem Material gelten auch heute noch für viele Menschen als Statussymbol. Das liegt zum einen daran, dass Kaschmirwolle mit bis zu 21 Micron eine der weichsten Fasern überhaupt ist, zum anderen daran, dass sie ein rares Gut ist. Kaschmirfasern werden ausschließlich aus dem Unterfell der Kaschmirziegen gewonnen und die wiederum können nur in wenigen Regionen der Erde wachsen und gedeihen. Ihr natürlicher Lebenraum ist das Hochgebirge.

Am verbreitetsten sind sie in China, Indien und der Mongolei. Ihren Namen entlehnen die Ziegen ihrer Herkunftsregion: Kaschmir ist der Name eines Teils des Himalaya-Massivs im indisch-pakistanischen Grenzgebiet. Manchen kommt Kaschmir als geographische Bezeichnung vielleicht auch aus den Nachrichten bekannt vor: Die Region war Schauplatz von fünf Kriegen allein im 20. Jahrhundert. Im immer noch schwelenden „Kaschmir-Konflikt“ treffen mit Indien, China und Pakistan gleich drei Atommächte aufeinander, was der Auseinandersetzung eine globale Dimension verleiht.
Günstiger Kaschmirpullover? Leider nein.
Aber ich habe doch neulich einen im Internet gesehen, denkt sich jetzt vielleicht die*der ein oder andere Lesende. Wahrscheinlich handelte es sich dabei um ein Kleidungsstück, das eine – wahrscheinlich eher geringe – Kaschmir-Beimischung hatte. Das erklärt dann ein nicht ganz so herzstillstand-förderndes Preisschild. Bei Discountern sieht man heutzutage allerdings auch immer wieder, teilweise sogar angeblich reine Kaschmirpullover zu zweistelligen Beträgen. Um es ganz klar zu sagen: Wenn jemand so etwas kauft, zahlt er*sie nicht den Preis – sehr wohl aber die Tiere und die Menschen, die am Produktionsprozess beteiligt sind.
Kaschmirziegen sind reine Wolllieferanten. Für die Fleischproduktion sind sie kaum geeignet. Wenn also das Fell nicht perfekt ist, insbesondere nicht weiß genug und damit schlechter färbbar, werden die Tiere möglichst schnell geschlachtet, da sie sich finanziell nicht lohnen. Denjenigen, die die Qualitätskriterien erfüllen, steht häufig eine „Schur“ unter grausamen Zuständen und Zeitdruck bevor. Für das Auskämmen der Wolle nach traditioneller Art braucht es eigentlich eine erfahrene Kraft und 5-6 Stunden Zeit; tatsächlich werden Ziegen aber oft in unter einer Stunde ohne Betäubung „gerupft“. Schmerzen, lebensbedrohlicher Stress und Verletzungen inklusive. Werden die Ziegen zu früh im Jahr diesem Prozess unterzogen, droht ihnen außerdem der Kältetod, da sie ihr Fell als Isolierung gegen die niedrigen Temperaturen im Hochgebirge brauchen. Tierschutz ist in einem Großteil des Herkunftsgebiets von Kaschmirwolle rechtlich nicht verbindlich festgelegt und so dürfte sich von selbst an diesen Zuständen wohl wenig ändern.
Die Steppe leidet – Wachsende Herden gefährden die natürlichen Ressourcen

Ein weiteres Problem, das der hohe Druck auf dem Markt, immer mehr und immer günstigere Kaschmirwolle anzubieten, mit sich bringt, ist die Belastung der Umwelt: In der Mongolei leben heute sechs mal mehr Kaschmirziegen als noch 1990, nämlich an die 27 Millionen Tiere. Damit ist klar, dass auch sechs Mal so viel Fläche benötigt wird, um die Nahrungsversorgung der Herden sicher zu stellen. Kaschmirziegen grasen auf Steppenböden und reißen dabei die Pflanzen mitsamt der Wurzel aus. Eine einmal komplett abgegraste Zone erholt sich nicht mehr. Die Folge: Immer mehr kahlgefressene Landstriche und eine abnehmende Biodiversität in Fauna und Flora. Die Steppe wandelt sich in rasanter Geschwindigkeit zur Sandwüste. Deshalb haben die Vereinten Nationen ein Projekt gestartet, dessen Ziel die Mongolian Sustainable Cashmere Platform, ein Zertifikat für nachhaltig produzierte Kaschmirwolle, sein soll. Mit Ergebnissen wird hier etwa 2026 gerechnet.
Also sollte man besser keine Produkte aus Kaschmir oder Kaschmirstrickwolle kaufen? Diese Entscheidung liegt natürlich bei jeder*m Einzelnen. Bei Kleidung aus Kaschmir ist es für Endverbraucher*innen nur mit sehr gezielter Recherche möglich nachzuvollziehen, wie die Produktionsbedingungen wirklich sind. Inzwischen gibt es Garnhersteller, die sich bemühen Kaschmir nur dann anzubieten, wenn auch eine artgerechte Haltung gewährleistet werden kann. Auch hier empfiehlt es sich, vor einem Kauf genau hinzuschauen. Ich weiß: Jetzt sind wir so schön kuschelig mit schneebedeckten Bergen gestartet und so nüchtern in einer kahlgefressenen Steppe gelandet. Aber das ist ja unser Auftrag hier – auch bei weicher Wolle über harte Fakten reden.
Meine Empfehlung fürs Hier und Heute ist trotzdem: Schnappt euch ein nachhaltiges Garn aus eurem Vorrat, macht euch ein Tässchen Glüh- oder Kinderpunsch warm und strickt ein paar feine Runden. Vielleicht zu einem Märchenfilm im Hintergrund? Ich liebe ja Lizzy und der wilde Kaiser, denn da kommt ein ausgesprochen herziger Yeti vor. Ach, und ganz bald trudeln bei vielen von uns ja auch schon die Adventskalender von Steffi ein. Wenn das mal kein Grund zur Vorfreude ist!
Mit wolligen Flauschgrüßen,
Eure Judith
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Quellen:
- https://utopia.de/ratgeber/kaschmirwolle-besonderheiten-und-kritik-an-der-edelfaser/
- https://www.science.org/content/article/exploding-demand-cashmere-wool-ruining-mongolia-s-grasslands
- https://www.gschneider.com/2019/03/01/annual-cashmere-market-report/
- https://www.mn.undp.org/content/mongolia/en/home/projects/mongolian-sustainable-cashmere-platform.html
Bildnachweise:
- https://pixabay.com/de/photos/ziege-kaschmirziege-himalaya-1160961/ / gemeinfrei von Pixel-mixer
- https://pixabay.com/de/photos/mongolei-steppe-jurten-altai-590809/ / gemeinfrei von jackmac34

Ein Gedanke zu „Fiber Fact Friday Nr. 18: Kein Wintermärchen – Kaschmirwolle“